Die Stadt Bräunlingen hatte zwei Probleme: Die Stadtkapelle benötigte einen neuen Proberaum und die evangelische Kirchengemeinde musste sich von ihrer Kirche trennen. Die Lösung lag da nahe. Mithilfe des Landesförderprogramms FreiRäume und dank der Unterstützung durch die Stadt konnte sie auch realisiert werden. Die Stadtkapelle kaufte die Immobilie und die Kirche bleibt – sprichwörtlich – im Dorf.
Ein neuer Proberaum stand bei der Stadtkapelle Bräunlingen schon lange auf der Wunschliste. Fünfzig Jahre lang war die Stadtkapelle im Dachgeschoss der Schule untergebracht. Während der Instrumentalunterricht auf weitere städtische Räume verteilt war, fanden dort die Proben von Stadtkapelle, Juka und Vororchester statt. „Akustisch war das nicht gerade der Hit“, weiß Hornung, vom beschwerlichen Transport des Schlagwerks über drei Treppen einmal abgesehen. Vor zehn Jahren hat die Stadtkapelle den Wunsch nach einer Verbesserung der Probensituation schon einmal an die Stadt herangetragen. Damals ohne konkretes Ergebnis. Stattdessen verschärfte vor etwas mehr als zwei Jahren eine Brandschutzbegehung im Dachgeschoss der Schule die Probensituation der Stadtkapelle und befeuerte die Diskussion aufs Neue. Waren doch seitdem nur noch vierzig Musiker:innen im Probenlokal zugelassen. Fast gleichzeitig nahm auch der Druck auf die evangelische Kirchengemeinde Hüfingen-Bräunlingen zu. Eine Pfarrgemeinde und zwei Kirchen – diese Tatsache hielt dem Rotstift der badischen Landeskirche nicht stand. Der Weisung der Landeskirche, die Kirche in Bräunlingen zu veräußern, konnte sich die Pfarrgemeinde nicht erwehren.
Doch eine Kirche ist nicht einfach irgendeine Immobilie. Rendite und Gewinnmaximierung standen deshalb bei der Pfarrgemeinde weniger im Fokus. Ihr ging es vorrangig um den Erhalt des Gebäudes und eine sinnvolle Nutzung der Räumlichkeiten. Das von der Stadtkapelle bekundete Interesse an der Kirche und der Wunsch, sie als Probenlokal und für die Ausbildung des Musikernachwuchses nutzen, fielen deshalb bei der Kirchengemeinde auf fruchtbaren Boden. Mehr noch: Die Kirchengemeinde reagierte mit Begeisterung auf das von der Stadtkapelle ausgearbeitete Nutzungskonzept. Dieses war erfüllt von Respekt vor der Geschichte des „von Menschen geprägten Objekts“ und getragen von der Vision, aus der Kirche ein Haus der Musik zu machen und Gebäude und Gelände für einen gemeinschaftlichen Zweck nutzbar zu machen und wieder mit Leben zu füllen. „Dieses Gebäude hat die Bräunlinger geprägt und soll weiterhin als Ort der Begegnung bestehen bleiben“, heißt es in dem von den beiden Vereinsverantwortlichen Martin Hornung und Ralf Wolf gemeinsam mit der Architektin Sarah Schmid verfassten Konzept. Dass die Musik die Menschen zusammenbringen kann, wie kaum etwas anderes, davon zeigen sich die beiden Vereinsvorsitzenden überzeugt. „Musik ist international und für jeden Glauben und jede Sprache zugänglich und spürbar. Wenn nicht die Musik hier die Menschen zusammenbringt, wer dann …?“
Das Potenzial des Kirchengebäudes lässt sich indes schon aus dem Stadtplan ablesen. Liegt die Kirche doch ruhig zwischen Wohngebiet und Stadtkern, nur 120 Meter von der Stadthalle und 60 Meter von den Schulgebäuden der Stadt entfernt, und bietet sich als „tolle Ergänzung“ zum Schulund Stadthallenareal an. Mit dem angrenzenden Brändbach und den Brändbachterrassen hat das Gelände außerdem einen hohen Freizeitwert und viel Potenzial zur musikalischen Entfaltung. Selbst für den Kirchturm sieht das Konzept eine mögliche neue Verwendung als Kletterturm vor. Ein inhaltlich überzeugendes Konzept macht indes noch keine Finanzierung. Und so war es noch ein langer Weg bis zur Unterzeichnung des Kaufvertrags im April 2022. Lange ging die Stadtkapelle davon aus, dass die Stadt Bräunlingen die Kirche erwirbt und gemeinsam mit der Stadtkapelle das Areal wieder aufleben lässt. Auch die Gründung einer GmbH war zwischenzeitlich im Gespräch. Die von der Corona-Pandemie heraufbeschworene Krise ließ den finanziellen Spielraum jedoch schrumpfen und band der Stadt die Hände, sodass die Stadtkapelle sich letztlich vor die Wahl gestellt sah: „Entweder wir als Verein kaufen die Kirche oder es wird nichts“, fassen Martin Hornung und Ralf Wolf die Entwicklung zusammen. Genauso klar war den Verantwortlichen, dass die Entscheidung zum Kauf der Kirche eine breite Basis benötigte. Eine Mitgliederversammlung brachte die erhoffte große Zustimmung. Über 80 % der Vereinsmitglieder stimmten nicht nur dafür. Vielmehr sagten sie in einer Vorababfrage verbindlich ihre Unterstützung zu und erklärten sich bereit, entweder Spenden zu sammeln oder bei Baumaßnahmen mitzuhelfen. „Wir haben von Anfang an mit offenen Karten gespielt und deutlich gemacht, dass es ohne Eigenleistung nicht geht“, erzählt Hornung. Zuvor, im Mai 2021, hatte schon der Stadtrat in einer öffentlichen Sitzung mit großer Mehrheit dem Vorhaben der Stadtkapelle zugestimmt. Dass diesem Beschluss zum Teil knüppelharte Verhandlungen vorausgingen, will Martin Hornung nicht verschweigen. „Wir haben die Stadt gefragt, was es ihr wert ist, wenn wir aus städtischen Räumlichkeiten rausgehen“, berichtet Hornung, der gemeinsam mit Ralf Wolf die Verhandlungen geführt hat. Immerhin war die Stadtkapelle mit 50 Wochenstunden in städtische Räume eingemietet. Am Ende konnte die Stadtkapelle nicht nur einen einmaligen Zuschuss erwirken, der nach vergleichbaren Projekten anderer Bräunlinger Vereine bemessen wurde, sondern bekam auch einen laufenden Betriebskostenzuschuss für die Jugendarbeit zugesprochen.
Die Finanzierung steht auf soliden Beinen
Eine wesentliche Rolle im Finanzierungskonzept spielte die Aufteilung des Grundstücks in drei Teile. Zwei davon gingen in den Verkauf und erbrachten einen Erlös, der den Großteil der von der Kirche insgesamt anvisierten Summe ausmachte. Für die Stadtkapelle ist deshalb nicht die Kaufsumme der größte Posten im Finanzierungskonzept, sondern die mit rund 300.000 Euro veranschlagte Sanierung. Dass die Finanzierung dennoch auf soliden Beinen steht, dazu tragen der städtische Zuschuss, die Posten Eigenleistung und Spenden sowie die Förderung durch das Landesförderprogramm FreiRäume maßgeblich bei. Auf dem Weg zur Unterzeichnung des Kaufvertrags am 1. April war die Verabschiedung des Finanzierungskonzeptes ein wichtiger Meilenstein. Unmittelbar am Wochenende davor hat sich die evangelische Kirchengemeinde in einem Gottesdienst von der Kirche verabschiedet, sie entwidmet und feierlich der Stadtkapelle übergeben. „Seit dem 1. April 2022 ist die Stadtkapelle nun Eigentümer mit allen Rechten und Pflichten“, berichtete Martin Hornung nicht ohne Stolz. Gemeinsam mit Ralf Wolf hat er im Ehrenamt unzählige Stunden in Besprechungen und Sitzungen mit der Stadt, Juristen und Steuerberatern investiert, um alle Aspekte des Projekts zu beleuchten. „Es musste alles wasserdicht sein. Ohne die von Corona auferlegte Zwangspause hätten wir das vermutlich alles gar nicht hingekriegt“, rekapituliert er diese intensive Vorbereitungszeit. Nutzungsänderung, Bauvoranfragen, Bauantrag, Nachbarschaftsanhörung sind nur einige der Themen, mit denen sich Hornung und Wolf auseinandersetzen mussten. „Gerade liegt das Schallemissionsgutachten bei mir auf dem Tisch“, gibt Hornung Einblick in sein tägliches Geschäft. „Es sieht gut aus. Wir können die Grenzwerte einhalten“, freut er sich.
Aktuell das größte Problem: der Nachhall von 3 Sekunden
Viele Themen mehr werden noch auf die beiden Vereinsverantwortlichen zukommen, denn der Sanierungsstau in der Kirche ist groß. Damit Martin Hornung und Ralf Wolf dafür den Rücken frei haben, haben sie sich „aus der Schusslinie genommen“, will heißen, sie haben in einer Mitgliederversammlung per Satzungsänderung den Vorstand so umstrukturiert, dass sie sich im Team „Finanzen und Infrastruktur“ nun schwerpunktmäßig um das Projekt „Haus der Musik“ kümmern können. Was dabei die drängendsten Themen sind, das hat die Nutzung der Kirche in der Übergangsphase an den Tag gelegt. Bereits Mitte September 2021 ist der Probenbetrieb der Stadtkapelle Bräunlingen in die Kirche umgezogen und probt seither unterm Kirchenkreuz – gezwungenermaßen, weil das alte Probenlokal seit der Brandschutzbegehung für das 70-köpfige Orchester zu klein geworden war. „Aber eigentlich funktioniert es in der Kirche so nicht für uns“, weiß Ralf Wolf. Sorgen bereiten den Musiker:innen vor allem der Nachhall des großen Kirchenraumes. „Wir haben hier einen Nachhall von etwa drei Sekunden, optimal wäre aber weniger als eine Sekunde“, erklärt er. Das Thema Akustik steht deshalb auf der Prioritätenliste ganz oben. Einen Schnellschuss wird es aber trotzdem nicht geben. Stattdessen behelfen sich die Bräunlinger Musiker mit einer temporären Lösung. „Demnächst haben wir einen Termin, um zur Verbesserung der Akustik Stoffbahnen in der Kirche aufzuhängen“, sagt Wolf. „Wir wollen uns Zeit lassen und uns ausführlich über die Möglichkeiten informieren, bevor wir mit Baumaßnahmen beginnen.“ Dieses Vorgehen gilt nicht nur für die Akustik, sondern für alle Bereiche. „2022 wird für uns das Jahr der detaillierten Planungen, bevor wir 2023 an die Umsetzung gehen“, betont Hornung. Insgesamt legen die beiden Verantwortlichen das Projekt auf eine Dauer von vier bis fünf Jahren an. „Wir dürfen unsere Mitglieder und uns nicht überfordern, damit wir nicht die Lust und den Spaß daran verlieren.“Im Moment ist das „Haus der Musik“ noch Zukunftsmusik. Ihre Vision verlieren Martin Hornung und Ralf Wolf aber nicht aus dem Blick – die Vision von einem Ort, der die Bürger zusammenbringt, der gemeinschaftlich genutzt wird, an dem viele Kinder und Jugendliche musikalisch ausgebildet werden und den Jung und Alt mit Musik erfüllen.
blasmusik Ausgabe 07/08-2022 | Autor: Martina Faller
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