Das Drumset ist das Instrument des Jahres 2022. Damit kürt der Landesmusikrat erstmals ein Schlaginstrument mit diesem Titel. Die Geschichte des Schlagzeugs begann in den USA und reicht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Das erste komplette Schlagzeug kam 1918 durch die Ludwig & Ludwig Drum Company aus Chicago in den Handel. In Deutschland ist das Drumset mittlerweile das fünftmeist gespielte Instrument in den Musikschulen. Und auch aus der Blasmusik ist es schon lange nicht mehr wegzudenken.
„Welcher ist der Lieblingssong jedes Schlagzeugers? One Moment in Time.“ „Woran erkennt man, dass ein Schlagzeuger vor der Tür steht? Das Klopfen an der Tür wird immer schneller!“ „Ein Schlagzeuger wundert sich, dass seine Bandkollegen nach dem Gig für ihn alles abbauen und sogar zum Auto tragen. Als er nach dem Grund fragt, bekommt er zur Antwort, er solle sich jetzt mal richtig ausruhen, er hätte schließlich den ganzen Abend schon geschleppt.“ „Warum ist ein Schlagzeugsolo wie ein Nieser? Du weißt nicht, wann es kommt und kannst es nicht vermeiden!“ „Wie kann man einen Schlagzeuger am schnellsten aus dem Konzept bringen? Indem man ihm ein Notenblatt vorlegt.“ Das Bild, das in diesen Witzen von Schlagzeugern entworfen wird, ist kein positives: Schlagzeuger gelten als laut, unmusikalisch und unfähig, Noten zu lesen und das Tempo zu halten. Eine lange Reihe legendärer Drummer beweist das Gegenteil. Gene Krupa, der mit seinem Solo in „Sing, Sing, Sing“ mit dem Benny Goodman Orchestra weltberühmt wurde, das Ausnahmetalent Tony Williams, der als Gott des „Jazz-Rock- und Jazz-Fusion“ geltende Billy Cobhan, dessen Album „Spectrum“ zum Meilenstein avancierte und dessen Vorspiel zu „Stratus“ zu einen der meist gecoverten Soli wurde, John Bonham, genannt Bonzo, der legendäre Schlagzeuger von Led Zeppelin, der mit seinem Spiel das Rockschlagzeug revolutionierte und zum wichtigsten Vorbild vieler heute berühmter Kollegen wurde und der erst kürzlich verstorbene Rolling-Stones-Drummer Charlie Watts, dem man nachsagte, zuverlässig wie ein Metronom zu sein, sind nur wenige Beispiele aus dieser Reihe herausragender Drummer, die Musikgeschichte schrieben.
Dennoch halten sich nicht nur die Vorurteile gegenüber Schlagzeugern beharrlich, auch die Bezeichnungen des Schlagzeugs selbst oszillieren zwischen abwertend „Schießbude“ und respektvoll „Bandmotor“. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Egal in welchem Genre, ob im Schlager oder in der Rockmusik, in der Popband oder im traditionellen Blasmusikensemble, ohne den genauen Rhythmus und das richtige Tempo läuft nichts. Denn genau das ist die Hauptfunktion des Schlagzeugs. Mit einer festen, sich ständigen wiederholenden Schlagfolge erzeugt der Schlagzeuger den Grundrhythmus, der die Band oder das Orchester trägt und gemeinsam mit den anderen Instrumenten der Rhythmusgruppe den tragenden Groove ergibt. Was passiert, wenn der Schlagzeuger diesen Grundrhythmus nicht im Tempo durchhält? Das kann sich jeder ausmalen ...
Taktgeber – das war im Grunde schon immer die Funktion von Trommeln, lang bevor das Schlagzeug erfunden wurde. Und Trommeln gibt es schließlich seit Menschengedenken. Sie wurden schon im alten Ägypten, in der Antike bei den Griechen und Römern bei Kultfeiern und Ritualen eingesetzt.
Trommeln geben den Takt vor – seit Menschengedenken
Sie versetzten die Menschen in Ekstase, sollten die Dämonen fernhalten, sie trieben die Sklaven auf den Galeeren an, im Takt zu rudern, begleiteten Prozessionen und viele Anlässe mehr. In diesen Kulturen genauso wie sehr viel später in Europa waren flache Rahmentrommeln verbreitet. Im Mittelalter erfreuten sie sich vor allem im Zusammenspiel mit der Einhandflöte großer Beliebtheit, zumal beide Instrumente von ein und derselben Person gespielt werden konnten: In der einen Hand hielt der Spielmann das nur mit drei Grifflöchern und einem Daumenloch versehene Instrument, mit der anderen Hand schlug er die um den Oberkörper hängende Trommel. Seit dem 13. Jahrhundert war dies die einfachste und billigste Form einer „Ein-Mann-Tanzkapelle“, die nicht nur bei der Landbevölkerung äußerst beliebt war, sondern auch zum Einzug der Ritter auf Turnieren Verwendung fand. Bei der Erfindung des Drumset sollten genau diese beiden Faktoren, Tanz und Kosten, eine wesentliche Rolle spielen. Doch dazu später mehr.
Zunächst hielten die ersten kleinen Trommeln in Europa Einzug. Sie wurden von Kreuzrittern aus dem Nahen Osten nach Europa mitgebracht. Diese doppelfelligen, sogenannten Schnarrtrommeln wurden überwiegend im Militär eingesetzt und von den Soldaten zur Unterstützung beim Marschieren verwendet. Von den Kriegen mit dem Osmanischen Reich wurden im 16. Jahrhundert Becken und Pauken nach Europa gebracht, sodass sich das Instrumentarium im Bereich der Schlaginstrumente stetig erweiterte. Bis all die Schlaginstrumente allerdings zu einem „Set“ zusammengestellt wurden, sollten noch einmal Jahrhunderte ins Land ziehen.
Die No-Drumming-Laws als Wegbereiter des Drumsets
Die Initialzündung für die Erfindung des Drumsets fiel in den USA. Ausschlaggebend dafür waren zwei Entwicklungen: die „No-Drumming-Laws“ und die Erfindung des Pedals. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war es den Afroamerikanern durch die „No-Drumming-Laws“ verboten, ihre traditionellen Trommeln zu spielen – sie galten als Werkzeuge der Revolte. Die Furcht der Sklavenhalter und weißen Machthaber vor der Kommunikation per Drumbeat war keineswegs unbegründet – wurden in Afrika Trommeln doch tatsächlich in der Kommunikation über größere Entfernungen eingesetzt. Anders als erhofft, konnte das Trommeln durch die „No Drumming Laws“ nicht gestoppt werden. Im Gegenteil: Mit ihrem Verbot wurde vielmehr der Grundstein für die Erfindung des modernen Schlagzeugs gelegt. Zunächst wichen die Afroamerikaner auf Alltagsgegenstände, orientalische Trommeln und Becken aus oder nutzten gar den eigenen Körper, um mit Händen und Füßen Rhythmen zu erzeugen. Nach dem Ende des Sezessionskrieges 1865, der nicht nur die Sklaverei abschaffte, sondern auch die Militärkapellen überflüssig machte, konnten Afroamerikaner nicht nur ihr eigenes Geld verdienen, es waren zudem auf einmal für wenig Geld viele Instrumente erhältlich. Und so entstanden, vor allem mit afroamerikanischen Musikern besetzt, schnell kleine und große Orchester. Sie traten als Marching Bands auf den Straßen auf und spielten bei Tanzveranstaltungen. Die Besetzung setzte sich meist aus mehreren Blasinstrumenten, Gitarre, Banjo und mindestens drei Trommlern zusammen, von denen einer die große Trommel, einer die Snare und einer die Becken spielte. Mit der Zeit erwies sich das nicht nur als unwirtschaftlich für die Bands. Auf den kleinen Bühnen in den Tanzlokalen war oft einfach nicht genug Platz für so viele Musiker. Deshalb versuchte man, die verschiedenen Trommeln und Becken zusammenzubauen oder Bassdrum und Kleine Trommel behelfsmäßig so aufzubauen, dass beide gleichzeitig mit den Händen gespielt werden konnten. Das sogenannte „Double Drumming“ war indes nicht jedermanns Sache. Erst recht nicht vor dem Hintergrund, dass sich das Trommeln rund um die Jahrhundertwende mit den angesagten schnellen Jazz- und Ragtime-Nummern wegbewegte von den geraden Marching-Band-Beats hin zur Polyrhythmik der afrikanischen Musik. Deren sich gegeneinander verschiebende Rhythmen mussten parallel gespielt werden – mit Double Drumming allein ein schwieriges Unterfangen. William Ludwig, ein junger, deutschstämmiger Schlagzeuger, der sich in der Chicagoer Szene zu etablieren versuchte, hatte damit seine liebe Mühe. Um Abhilfe zu schaffen und die Arme zu entlasten, entwickelte er 1908 ein Pedal, das einen Schlägel gegen die Basstrommel schnellen ließ und ihn mit einem Federzug zurückholte – eine bahnbrechende Erfindung, die zur Initialzündung für das Drumset wurde. Bei der Firma Ludwig & Ludwig ging kurz darauf nicht nur die Fußmaschine in Serienproduktion. Sie brachte auch das erste Drumset auf den Markt. Und die Idee, mit den Füßen zu spielen, begann sich schnell durchzusetzen. Schließlich hatte man dank der Fußmaschine nun die Hände frei für die Snare Drum, andere Kleine und Große Trommeln und die Becken. Mehr noch: Sie initiierte die Erfindung neuer Instrumente. So wurde zusätzlich zu den per Hand gespielten Becken der „Snow Shoe“ verwendet: eine Art Holzsandale, die zwei Zimbeln aneinanderschlug. Aus diesem archaischen Gerät entwickelte sich in den 1920er-Jahren die moderne Hi-Hat, die sowohl mit Pedal als auch mit den Händen gespielt werden kann.
Dank der Fußmaschine endlich die Hände frei
So entstand das erste Schlagzeug, bestehend aus der dicken Bassdrum im Zentrum, mit Snare, Hi-Hat und verschiedenen weiteren Trommeln, Perkussionsinstrumenten und Becken. Es ersetzte gleich mal zwei Musiker, schuf Platz auf der Bühne und erlaubte es den Bands, wirtschaftlicher zu spielen. Wo zuvor mindestens drei Musiker für Rhythmus, Beats und Groove gesorgt hatten, genügte nun ein Schlagzeuger – zudem mit einem höchst anpassungsfähigen Instrument. Denn so rudimentär viele Drumkits in den Anfängen waren, so blieben sie ja nicht. Im Gegenteil. Die Zeit sparte nicht an Innovationen und die Drumsets entwickelten sich weiter. Wie kaum ein anderes Instrument kann das Schlagzeug heute seine Gestalt verändern und universell eingesetzt werden – von der minimalistischen Ausführung in Jazz-Formationen bis hin zu pompösen Maschinen in der Rockmusik. Welche Ausmaße die Drumsets in der Rockmusik annehmen können, zeigt das Beispiel des Frank-Zappa-Drummers Terry Bozzio. Sein Kit aus mehr als 100 Trommeln und Becken sprengt jedes Foto. Ein regelrechtes Monster-Drumset hat über 20 Jahre hinweg der US-Amerikaner Mark Temperatos erbaut. Mit insgesamt 813 Trommeln und Becken hält sein Kit den Rekord für das größte Schlagzeug der Welt.
Ende der 1970er-Jahre hielt das Drumset auch in die Blasmusik Einzug
Mit ungleich weniger Schlaginstrumenten kam lange die Blasmusik aus. Bis gegen Ende der 1970er-Jahre war die Besetzung auf Kleine Trommel, Große Trommel mit darauf montiertem Becken und hängendem Becken eher die Regel denn die Ausnahme. Erst mit dem Einzug von Kompositionen und Arrangements, in denen Jazz-Elemente eine größere Rolle spielen, und der Erweiterung des Repertoires um – wie Alex Schillings in seinem Buch Metafoor – Die Sprache des Dirigierens. Methodische Anleitung für Blasorchesterdirigenten schreibt – die „andere Blasmusik aus Amerika“ und nicht zuletzt dank „eines geregelten Unterrichtskonzepts“ eroberte sich das Schlagzeug in der europäischen Blasmusik indes einen festen Platz und verdrängte sogar mitunter das alte Instrumentarium. „Die Große Trommel mit dem darauf montierten Becken ist Vergangenheit“, schreibt dazu Alex Schillings.
Die meisten Komponisten und Arrangeure sehen das kombinierte Schlagzeug in allen Leistungsklassen inzwischen standardmäßig vor. Anders kann es auch gar nicht sein. Schließlich ging das Drumset aus der Tanz- und Unterhaltungsmusik hervor und ist deshalb auch in der Blasmusik in diesem Genre unverzichtbar. Das Drumset gibt den Grundrhythmus vor und bestimmt den Groove und den Drive. Allerdings nicht alleine. Zwar ist das Drumset das rhythmische Zentrum, das Herz und die Basis der Unterhaltungsmusik ist jedoch die Rhythmusgruppe als Ganzes. Und zu ihr gehören Bassgitarre/Kontrabass und Rhythmusgitarre/Klavier genauso unverzichtbar dazu. Ein Blasorchester, das sich auf Unterhaltungsmusik spezialisieren oder diese stilgerecht aufführen möchte, kommt nicht umhin, auch diese Instrumente in die Besetzung zu integrieren. Denn nur dann hat diese Musik auch in der Blasmusik den richtigen „Swing“.
blasmusik Ausgabe 01-2022 | Autor: Martina Faller
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