Ohne sie ist alles nichts: Die Atmung im Detail

Atmen sollte jeder können, gerade in der Blasmusik. Doch wie genau sollte man es tun? Dass es viele verschiedene Ideen gibt, wie man sich die Atemtechnik vorstellen kann, sorgt oft für Verwirrung. Sophie Stahl möchte in ihren Workshops und Vorträgen Klarheit schaffen und den Musizierenden die Prozesse im Körper näherbringen, damit diese ihre Atemtechnik verfeinern können.

Einatmen, ausatmen – eigentlich klingt es so einfach! Wir tun es etwa 20.000 Mal am Tag, zuallermeist unbewusst, ohne den tatsächlichen Vorgang zu kennen oder zu begreifen. Doch ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht – gerade, wenn gesungen oder ein Instrument gespielt wird. Dies können nicht nur sämtliche Instrumentalisten im Blasmusikbereich bestätigen, sondern auch all diejenigen, die jemals Sport gemacht und nach einer Trainingseinheit versucht haben, wieder zu Atem zu kommen. Gerade für Spielende eines Blasinstruments ist eine gute Atemtechnik jedoch essenziell. Was macht eine solche Atemtechnik aus, und wie kann man mit seiner Atmung besser umgehen? Mit diesem Thema hat sich Sophie Stahl beschäftigt. Die studierte Oboistin und ausgebildete Physiotherapeutin hat am eigenen Instrument und Körper erlebt, wie sehr die Atmung die Spielweise beeinflusst. Nach einigen Aha-Momenten im Bereich der Atemtechnik stellte sie fest, dass schon allein das Verständnis und das Auseinandersetzen mit dem eigenen Körper ihr Spiel leichter werden ließ. Sobald die technischen Voraussetzungen in der Atmung überwunden waren, konnte sie sich mehr auf das Musizieren konzentrieren. Um diese Aha-Momente auch an andere Musizierende weiterzugeben, bietet sie Workshops, Seminare und Coachings an. Dabei ist für Stahl besonders wichtig, den Teilnehmenden die Anatomie der Atmung zu erklären, denn sobald man versteht und feststellen kann, welche Muskeln wo an der Atmung beteiligt sind, kann man sie separat trainieren und auch ihre Regeneration nach einer anstrengenden Probe fördern.

Doch wer denkt, dass es beim Atmen nur auf die Lunge ankommt, irrt sich gewaltig! Die tatsächliche Arbeit wird größtenteils vom Zwerchfell und dem Beckenboden gemacht – gerade Letzteres ist eine Tatsache, die oft vernachlässigt wird. Erst wenn der Beckenboden entspannt ist, kann das Zwerchfell seine volle Kraft entfalten und eine tiefe, volle Atmung ermöglichen. Doch bevor es um die exakten Muskeln geht, die im Beckenboden ihre Arbeit tun, soll es sich um den Ablauf der Atmung und die Bestandteile des Körpers drehen, die bei ihr aktiv sind. Zuallererst ist die Atmung ein Prozess, der unseren Körper mit Sauerstoff versorgen soll, der als eine Art Brennstoff für unsere Zellen dient. Bei der Ausatmung wird das Kohlenstoffdioxid, das ein Abfallprodukt dieses Verbrennungsprozesses ist, abtransportiert. Im Ruhezustand ist der Körper hier in der Balance, was allerdings nicht der Fall ist, wenn man sein Instrument spielt. Hier ist die Ausatmung für gewöhnlich deutlich länger als die Einatmung und lässt oftmals nur die Zeit für ein kurzes Nach-Luft-Schnappen. Dies ist kurzfristig kein Problem, sobald es aber längerfristig geschieht, bedeutet es Stress und eine hohe Belastung für den Körper, weswegen Pausen mit ruhigem Atmen auch sehr wertvoll und wichtig sind. Bei der Atmung gelangt die Luft durch Nase oder Mund in den Körper hinein – das ist jedem klar. Hier sowie in den Nebenhöhlen wird sie gereinigt und befeuchtet. Die Nebenhöhlen sind gleichzeitig auch für das Instrument oder die Stimme sehr wichtig, da sie während des Sprechens, Singens oder Spielen des Instrumentes als Resonanzräume fungieren können. Von hier aus fließt die Luft am Kehlkopf und den Stimmlippen vorbei, dann in die Luftröhre und direkt über die Bronchien weiter in die Lunge. Diese ist jedoch nicht für unsere Atmung verantwortlich, denn sie ist ein sogenanntes passives Organ, was bedeutet, dass sie nicht selbst für die Einatmung zuständig sondern bloß der Austauschort für Kohlenstoffdioxid und Sauerstoff ist. Der eigentliche Muskel ist das Zwerchfell. Es liegt im entspannten Zustand ungefähr auf Höhe der Brustwarzen und ist wie eine doppelte Kuppel geformt. Im Moment der Einatmung spannt sich dieser Muskel an, wandert dabei nach unten und zieht die Lunge mit. Dabei entsteht ein Unterdruck, der Luft in die Lunge einsaugt. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn man eine Luftpumpe aufzieht. Bei der Ausatmung wirkt die sogenannte Rückstellkraft: Der Muskel entspannt sich wieder, drückt zurück in seinen Ausgangszustand und presst die Luft durch den entstehenden Überdruck wieder aus der Lunge heraus. Dabei wird das Zwerchfell durch die sogenannte Atemhilfsmuskulatur unterstützt. Bei der Einatmung werden die Schulter-Nackenmuskulatur, bestimmte Muskeln im Rücken und die Zwischenrippenmuskulatur aktiv, bei der Ausatmung arbeiten Zwischenrippenmuskulatur, Rückenmuskulatur und die Bauchmuskulatur. Sobald das Zwerchfell zum Beispiel durch Nervosität vor einem Auftritt verspannt ist, zeigt sich das sofort: Es ist nur eine flache Atmung möglich, da das Zwerchfell keine komplette An- und Entspannung durchführen kann. Hier kann es helfen, bewusst tief und langsam zu atmen oder Übungen zur Regenerationsfähigkeit anzuwenden, um das Zwerchfell wieder voll zu nutzen. Doch nicht nur das Zwerchfell spielt eine große Rolle bei der Atmung. Auch der Beckenboden ist maßgeblich an der Atmung beteiligt. Er liegt, wie sein Name schon sagt, im Becken und ist im Gegensatz zum Zwerchfell nicht wie eine Kuppel, sondern wie eine Schale geformt. Die Grundaufgaben des Beckenbodens bestehen aus dem Verschluss des Beckens und somit der Abtrennung des Bauchraums nach unten, dem Tragen der Organe und, ein Punkt, der mit zunehmendem Alter immer wichtiger wird, der Kontinenz. Doch so wichtig diese Funktionen auch für den menschlichen Körper sind, für die Atmung spielt eine andere Funktion eine Rolle. Denn sobald sich das Zwerchfell bei der Einatmung ausdehnt und anspannt, braucht es eine Menge Platz. Diesen erhält es dadurch, dass sich der Bauch nach vorne und die Flanken zu den Seiten ausdehnen. Sogar im Rücken ist dieser Effekt spürbar. Das allein reicht aber noch nicht: Gerade nach unten braucht das Zwerchfell noch mehr Platz und drückt auf die Organe. Um diese zu schützen, gibt der Beckenboden nach unten nach. Damit haben die Organe mehr Platz und das Zwerchfell kann perfekt arbeiten – eine Win-win-Situation. Der Beckenboden ist hierbei noch entspannt. Wenn wir allerdings ausatmen und das Zwerchfell sich entspannt, spannt sich der Beckenboden an und verstärkt so den Druck auf die Lunge, um die Luft schneller aus dem Körper zu pressen. Das Zwerchfell und der Beckenboden arbeiten somit in einer Art gegenläufigem Team: Sobald sich das Zwerchfell bei der Einatmung anspannt, ist der Beckenboden entspannt. Sobald ausgeatmet werden soll, entspannt sich das Zwerchfell, während sich der Beckenboden anspannt, um die Luft möglichst effizient aus dem Körper zu befördern. Dieses Zusammenspiel zwischen Zwerchfell und Beckenboden bezeichnet man als Synergismus – ein sehr vorteilhafter Synergismus für uns Musizierende! Dennoch bietet es auch Platz für Anfälligkeiten: Ist der Beckenboden verspannt und kann sich nicht richtig nach unten ausdehnen, muss das Zwerchfell mit größerem Kraftaufwand arbeiten, damit wir tief einatmen können und neigt so schneller zu Verspannungen.

Aus diesem Hinte rgr undw iss e n können wir wichtige Schlussfolgerungen für das Musizieren ziehen. Wenn man ein Blasinstrument spielt oder singt, ist eine gleichmäßige Ausatmung das A und O. Nur durch ein geführtes, kontrolliertes Ausatmen kann man den Ton erzeugen, den man möchte, und in genau der gewünschten Tonhöhe und Lautstärke spielen oder singen. Hierfür ist es notwendig, nicht nur das Zwerchfell, sondern auch den Beckenboden gut einzusetzen. Viele Musizierende kennen das unter dem Begriff „Stütze“. Wer mit einer guten Stütze spielt, unterstützt mit einem aktiven, kräftigen Beckenboden sein Zwerchfell bei der Ausatmung, das sich langsam, aber kontrolliert in den entspannten Zustand in der Brust zurückbegeben will. Je stärker die stützende Kraft und Kontrolle des Beckenbodens während der Ausatmung ist, desto stärker ist der entstehende Überdruck auf die Lunge und desto schneller und stärker atmen wir aus. So lässt sich die Luft von unten nach oben führen – über den aktiven Beckenboden, eine dosierte Bauchspannung und später durch das Absenken der Rippen und die Unterstützung der Atemhilfsmuskulatur. Das Spielen des Instruments beginnt also schon im Beckenboden! Je nachdem, wie viel Spannung wir mit dem Beckenboden ausüben, können wir unsere Ausatmung daran anpassen, was für ein Stück wir gerade spielen und welche Anforderungen auch unser Instrument mit sich bringt. Mit zu wenig Beckenbodenspannung können wir dem Bauchdruck während der Ausatmung nicht standhalten und lassen wertvolle Energie nach unten entweichen, die wir eigentlich in der anderen Richtung brauchen. In der Folge passiert es häufig, dass man den Druck im Brustkorb aufbaut, den Hals eng macht oder den Ansatz stärker halten muss, um die fehlende Spannung auszugleichen. Umgekehrt kann die Beckenbodenspannung allerdings auch dabei helfen, die Intonation zu halten und so den Druck vom Ansatz oder den Stimmbändern nehmen. Damit ist es möglich, mit ein paar kleinen Tricks die eigene Ausdauer und Kondition zu erhöhen – einfach, indem man den Beckenboden richtig einsetzt.

Wie genau man diese Technik für sich individuell entdecken, ihr nachspüren, sie erleben und trainieren kann, erklärt Sophie Stahl regelmäßig in ihren Seminaren und Workshops, die durch den Lockdown im Moment über Zoom stattfinden. Die Resonanz ist hier sehr groß: In den letzten Monaten waren viele der Online-Termine ausgebucht – vielleicht auch deswegen, weil man die Zeit im Lockdown sehr gut dafür nutzen kann, seine eigenen Fähigkeiten und Techniken auszubauen.

http://www.sophiestahl.com

blasmusik Ausgabe 03-2021 | Autorin: Monika Müller
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